«Auf der Piste waren wir alle gleich.»
Anfang 2000 kam das Snowboardfahren auf und Marco Volz war als einer der Ersten mit von der Partie: «Da hast du dir ein Brett an die Schuhe geschnallt, damals noch mit Ex-Rennfahrer Ralf Schumachers Gesicht auf dem Boden. Ich habe versucht, damit bei meiner Skifahrergruppe mitzuhalten. Ich war der Einzige auf dem Board. Mit 13 oder 14 empfand ich unser Skigebiet als zu einfach und wechselte in den Feldberg, das grösste und kommerziellste Wintersportgebiet, das du bei uns im Schwarzwald findest. Da waren alle coolen Jungs. Da bin ich dann ganz natürlich in die Szene reingewachsen. So war ich schon früh raus aus dem Dorf und sah was anderes. Und deshalb hat mich die Schule in Waldshut auch nicht komplett aus den Socken gehauen.»
Ja, richtig, da war ja noch der Schulrausschmiss. Volz kam in der Folge nicht auf das renommierte und teure Elite-Gymnasium im Ort, obwohl die meisten Kinder von St. Blasien dieses von Jesuiten geführte katholische Kolleg besuchten, sondern nach Waldshut in eine staatliche Schule, eine Stunde Busfahrt entfernt. Der Aussenseiter, der weggeschickt wird. Volz fand’s nicht weiter schlimm. Er fuhr nämlich dahin, wo er hinwollte: in die Stadt. «Das war der Moment, in dem ich realisierte: Hoppla, eine Stunde Busfahrt und alles sieht anders aus.» Die Erkenntnis? «Dass anders nicht immer besser sein muss.» Denn auch da war er der Schüler, der allein auf dem Schulhof stand. «Es gibt ja immer eine Gruppe der coolen Kids. Da habe ich aber nicht dazu gehört. Ich war lange Zeit Aussenseiter, weil ich halt ein unberechenbarer, nicht wirklich umgänglicher Mensch war. Heute ist das anders. Weil ich gelernt habe, wie man mit Menschen umgehen muss, um eine Beziehung aufzubauen.»
Gelernt hat er dies, als in der 11. Klasse – er war 17 Jahre alt – ein neuer Schüler dazu stiess. «Er war Abgänger von Schloss Salem. Das Teuerste und Beste, was du dir an Schule leisten kannst im deutschsprachigen Raum. Er kam zu uns, weil in dieser Zeit seine Oma starb und er wieder dahin zurückwollte, wo er aufgewachsen war.» Der Neue musste – anders als Marco Volz – schon früh einen privaten Schicksalsschlag einstecken: Er wuchs ohne Mutter auf. «Dieser Umstand war unter anderem dafür verantwortlich, dass er seine Schullaufbahn auf dem Internat begonnen hatte. Nach seiner Rückkehr in die Heimat verfügte er über keine familiäre Anbindung. Dafür über ein bis zum Rand gefülltes Sparkonto, eine eigene Wohnung und die Freiheit, zu tun und lassen, was er wollte.»
So kam er (damals als einziger volljähriger Schüler) mit seinem eigenen Auto zur Schule, stellte dieses auf den Lehrerparkplatz, «kam generell zu spät, und tauchte auch nur auf, wenn es ihm passte. Anfangs fanden den alle doof. Wenn du mit dem Auto, dem bodenlangen Trenchcoat und der teuren Uhr am Handgelenk zur Schule kommst und bei einer Wortmeldung einen zehnminütigen Monolog hältst, bist du automatisch Aussenseiter.» Plötzlich waren sie zu zweit. Und Marcos Interesse war geweckt: «Mich hat fasziniert, wie er mit Würde trug, nicht gemocht zu werden. Ihm war es komplett egal, was die andern dachten oder über ihn sagten. Ich fand seine Art, mit der Situation umzugehen, extrem interessant.»